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Eine ganz normale Entwicklung und ihr irrsinniges Ergebnis:
am Beispiel der Gemüseproduktion in der südspanischen Provinz Almeria


von Jürgen Holzapfel, Europäisches BürgerInnenforum, Rostock, November 2005


Lange Zeit gehörte die Provinz Almeria in Andalusien zu den ärmsten Gebieten Spaniens, wo Trockenheit und Hitze, sowie sandige Böden, kaum eine landwirtschaftliche Nutzung erlaubten.

Nach der Niederschlagung der Republik verteilte der Diktator Franco die reichen Ländereien Andalusiens wieder an die alten Großgrundbesitzer und seine treuen Militärführer; dieses arme Trockengebiet aber verteilte er 1953 an landlose Familien in Parzellen von ungefähr vier Hektar. Er versprach ihnen Wasser, um die Wüste fruchtbar zu machen.

Rund zehn Jahre später ermöglichten Wasserbohrungen die ersten Bewässerungssysteme. Die sparsamste Weise bestand darin, schmale Streifen künstlichen Bodens – eine Mischung aus Sand und Dünger – damit zu bewässern, um Gemüse zu ziehen. So konnten die warmen Temperaturen im Winter und die starke Sonneneinstrahlung für eine intensive Gemüseproduktion im Winter genutzt werden. Die Menschen rackerten sich ab, um endlich dem Schicksal der Ärmsten zu entkommen.

Irgendwann stirbt jeder Diktator und Spanien wurde in den Verein der europäischen Demokratien aufgenommen. Demokratie kauft man mit Geld und viel Geld ist nach Spanien geflossen, um die Strukturen des Landes dem europäischen Markt anzugleichen.

Die armen Bauern der Provinz Almeria wurden schon bald von den Entwicklungsspezialisten der EU entdeckt, die versprachen, der Armut Abhilfe zu schaffen. Sie entwickelten das Marktsegment Sommergemüse im Winter, was bisher nur von den gasbeheizten Glashäusern in Holland bedient wurde, und die Kunden im Norden nahmen das Angebot an.

Die Berechnungen ergaben, dass es billiger ist, das falsche Wintergemüse in Almeria zu produzieren, als in Holland, jedoch nicht wegen der kostenlosen Sonnenenergie, die das Erdgas ersetzt, sondern wegen der billigen Löhne. Der Strukturfonds der EU stufte die Region als „prioritär“ ein und förderte die Industrieansiedlung in allen Bereichen, die einer industriellen Gemüseproduktion dienen; Plastikfabriken, Pestizidfabriken, Bewässerungssysteme, Bohrungen, Sortier- und Verpackungsanlagen, Transportunternehmen.... alles wurde subventioniert, was den Produktionsbedingungen und der Vermarktung durch die Handelsketten im Norden dienlich ist. All das, um den armen Gemüsebauern eine bessere Zukunft zu ermöglichen? Inzwischen spricht man vom „El Dorado“ Spaniens; El Ejido hat pro Einwohner die meisten Banken in Europa, die armen Bauernfamilien, in denen die Eltern meistens noch Analphabeten sind, wurden reich.

Wer aber dieses Wirtschaftswunder in Frage stellt, wird von der geschlossenen neureichen Gesellschaft brutal ausgeschlossen.

Ein Plastikmeer von 300 Quadratkilometern ist so entstanden, und es hört nicht zu wachsen auf. Ein Gebiet, in dem kein natürliches Leben mehr möglich ist, in dem keine Vögel singen, keine Bäume wachsen, wo alles auf Produktion eingerichtet ist. In der Hauptsaison fahren hier täglich hunderte Lastwagen mit Gemüse ab nach Norden. Das Wasser kommt inzwischen aus mehr als tausend Meter Tiefe.

Es gibt zwei Gründe für die Aufrechterhaltung und Ausweitung dieser vergifteten Erde. Im Vordergrund stehen die Interessen der Handelsketten, die eine Spezialisierung der Regionen in Europa auf bestimmte Produkte für den rationellen Einkauf brauchen. Das zweite Argument ist die Nähe der Provinz Almeria zur afrikanischen Küste und die Tatsache, dass hier täglich die kleinen Boote mit illegalen Migranten ankommen, und mit ihnen die billigsten Arbeitskräfte – ob tot oder lebendig. Die Überlebenden einer oft monatelangen Odyssee sind willig, alles zu tun, um ihrer Hoffnung auf eine gesicherte Zukunft ihrer Familien ein Stück näher zu kommen. Bevor sie noch in den Dschungel von europäischen Gesetzgebungen gelangen, werden sie zunächst hier als willigste Arbeitskräfte nach Belieben rekrutiert, tagesweise, stundenweise - aber auch monatelang nicht - für die dreckigsten Arbeiten, ohne Versicherung, ohne Rechte, ohne Wohnung, eingestellt. Sie leben jahrelang mit einem Bündel Kleider unter vergifteten Plastikplanen, um sich täglich auf dem Strich der Arbeit den Gemüsebauern anzubieten.

Niemand wird diese Situation ändern, zumindest keine der lokalen, nationalen oder EU-Behörden, die alle nur deshalb in diese Region investiert haben, weil die Arbeitskräfte hier garantiert billig sind, solange Almeria an der Armutsgrenze zwischen Afrika und Europa liegt.

Das System funktioniert nur dann, wenn die Migranten vollständig aus der lokalen Gesellschaft ausgeschlossen sind, wenn man ihnen alle menschlichen Eigenschaften abspricht, und sie wie Maschinen einsetzt, die, wenn sie sich vergiftet haben, einfach ausgewechselt werden. Diese soziale Beziehung bezeichnet man als Apartheid, sie schließt Demokratie aus.

Um wie viele Menschen es sich in dieser Situation handelt ist unklar. Sicher geht es nicht um zwei oder zehn, offiziell spricht man von ungefähr 90.000 Migranten, wovon ungefähr die Hälfte illegal sind. Aber wer will schon genau wissen, wie groß der Skandal wirklich ist? Um den Anschein zu wahren, wurden in den letzte Jahren auf offiziellem Weg rund 15.000 Erntearbeiter-Innen aus Polen und Rumänien engagiert, sie sind aber nur ein Bruchteil der in Spitzenzeiten benötigten Arbeitskräfte, und ihre Arbeitsbedingungen sind alles andere als beneidenswert.

Die Tatsache, dass es Menschen braucht, um unsere Lebensmittel herzustellen, wurde in den letzte Jahrzehnten weit aus unserem Bewusstsein verdrängt. Niemand sollte sich die Frage stellen, wie unsere Lebensmittel produziert werden, weil gerade dieser Bereich der am meisten einträgliche innerhalb der gesamten Ökonomie ist, einträglicher als der ganze Erdölkrieg.

Das irrsinnige Ergebnis dieser ursprünglich als ganz normal betrachteten Entwicklung steht auch in allen anderen Bereichen unserer Lebensmittelversorgung bevor. Die Gemüse und Obstproduktion war schon immer von den EU-Agrarsubventionen ausgenommen, möglicherweise deshalb, weil in diesen Bereichen die Arbeitskraft schon immer der wichtigste ökonomische Faktor war, der hauptsächlich durch die Beschäftigung Illegaler weit unter das Niveau europäischer Lohnstandards gedrückt werden konnte.

Die anderen Landwirtschaftsbereiche sind ab diesem Jahr den gleichen Bedingungen ausgesetzt. Auch hier wurden die Subventionen für die Produktion gestrichen und der Verkauf der Produkte unterliegt einer Weltmarktkonkurrenz, in der nur die Allergrößten überleben können. Es wird billiger sein, alle unsere Lebensmittel in den armen Entwicklungsländern produzieren zu lassen, auch wenn – oder gerade weil – in diesen Ländern die Bevölkerung hungert.

In dem Moment, wo die landwirtschaftliche Lebensmittelproduktion zu einem Börsenspekulationsobjekt geworden ist, gilt nur noch die Frage, wer am billigsten produziert. Darunter leiden heute alle landwirtschaftlichen Betriebe in der Welt, solange sie für den Markt produzieren. Die Tatsache, dass die europäischen Bauern heute durch Subventionen angehalten werden Energiepflanzen anzubauen, ist ein opportunistischer Ausweg ohne Zukunft. Er befördert die Apartheid der Provinz Almeria auf globale Ebene: Die Hungernden produzieren Lebensmittel für die reichen Länder, ohne dass die Gefahr besteht, dass die Wohlhabenden jemals mit ihnen in Berührung kommen.

© Hannah-Arendt-Bibliothek