Dezember 2011

Fundstück aus den Sozialen Netzwerken

Andreas Bummel, Generalsekretär der UNPA-Kampagne für eine demokratische UN schrieb auf Facebook (Anfang Dezember 11)

"Isn't it truly grotesque that citizens need to lobby parliamentarians in order to convince them that as elected representatives they should have more power and rights in international decision-making just to hear a million excuses why that's such a bad idea? Well, that's my daily life and I can tell you, every now and again it makes me want to tear my hair out."

Friedrich Brandi′s facebook-Antwort:

"Today I had a little UNPA presentation for students. For many the UNPA proposal was not radical enough...for most of the politicians it is to radical..."



Walter Koch, offener Brief

Lieber Herr Bummel,

Hier ein paar aktuelle Überlegungen zu Ihrem „lobbying”:

"We, the people... " hieß es bei Franklin und Jefferson im Umfeld der Amerikanischen Revolution. Das könnte auch unser Motto in der Parlamentskampagne werden.

Arendt als eine wirkliche Denkerin dieser Revolution nahm ganz andere zeitliche Dimensionen in den Blick als nur eine einzige Kampagne: in ihrem kaum beachteten Buch „On Revolution” würdigt sie die (Selbst-)Aufklärungsprozesse der Einwanderer des 17. Jahrhunderts bis zu den „Founding Fathers” als langsames Lernen, das nach 100 Jahren (!) der neuen Generation die Staatsbildung erlaubte (Verabschiedung der Verfassung 1787). Arendt präzisiert darüber hinaus die Akteure: bei ihr sind nicht die „überlasteten, einseitigen und bequem gewordenen Repräsentanten” Träger der Revolution, sondern die „Neubürger”, Flüchtlinge und Immigranten, die etwas bisher nicht Dagewesenes vorhaben, BürgerInnen, die einen „neuen Anfang setzen wollten”.

Ihr Projekt der demokratischen UN ist ein solcher „neuer Anfang”. Wenn man aber die Gründungs-erfahrung der „ersten” Aufklärer auf unsere heutige Lage überträgt, kommen neue Bündnisse in den Blick: Der neuesten Ausgabe der „Zeit” (www.zeit.de/2011/49/Fluechtlingspolitik) können Sie entnehmen wie von der kommunalen Ebene her die Bundesregierung unter Druck gerät, Neu-Büger aufzunehmen, Weltbürger, denen in den tunesischen und den ägyptischen, aber auch in ihren zukünftigen europäischen Flucht- und Ansiedlungsorten das Wahlrecht ganz generell entzogen wird. Diese kommunalen Beschlüsse wurden aus dem Umfeld von „Pro Asyl” lanciert. Sie machen deutlich, wer in Ihrer Kampagne als Zielgruppe noch dazugehören sollte: Die Aktivisten des „Save-me-Resettlement-Projekt”, also die, die für den Hohen Flüchtlingskommissar arbeiten.

Viele Migranten sind ja auch deswegen auf der Flucht, weil in ihren Herkunftsländern überhaupt keine parlamentarische Chance, selbst auf den unteren Vergesellschaftungsebenen, existiert.

In den Aufnahmeländern aber wird nur allzu oft über Abschiebung und nicht über Beteiligung verhandelt. Alle Flüchtlingsorganisationen klagen folglich Schutzrechte aus dem Katalog der Menschenrechte für ihre "Klienten” ein. Diese NGOs versäumen es, echte Beteiligung zu verlangen, wie Sie es, lieber Herr Bummel, für den imaginierten Weltbürger tun. Ich nenne das, die Flüchtlinge ein zweites Mal zu Opfern zu machen, weil ihr umfassendes Lebensbedürfnis von ihren Fürsprechern und Unterstützern auf einzelne Schutzaspekte der Menschenrechte (beispielsweise das Asylrecht, oder das Überlebens- und Eigentumsrecht) reduziert wird.

Die Initiative für ein Weltparlament ist auch deswegen so wertvoll, weil sie die "égalité" (im Sinne des Rechts) auch auf der zwischenstaatlichen Ebene einklagt und die gleichen Wahl- und Beteiligungsrechte für den ganzen "Bund der Menschen" fordert.

Ein solcher Bund aber verlangt eine Revolution, die der Bedeutung der amerikanischen und der französischen gleichkommt (bzw. sie zeitgemäss neuformuliert). Wir alle sollen, sozusagen in einem „neuen 18. Jahrhundert”, in einer „2. Epoche der Aufklärung” ankommen und mit weitsichtiger Geduld die Kräfte des "changing" heranwachsen lassen, ob nun im kontinentalen Zusammenhang (EU) oder auf Weltebene.

Die lokale Ansiedlungs- und Teilhabefrage ist, wenn man die Erfindung von Rätedemokratie ("town-hall-meeting") nicht systematisch ausblendet, sofort als Schlüssel für die Herausbildung der Weltwahlbürgern erkennbar. Was die ersten modernen Revolutionäre und auch Hannah Arendt in ihrer Begeisterung für den Konstitutionsprozess nicht erkennen konnten, waren die Bürgerrechte der „unzivilisierten Autochtonen” (vgl. Wolfgang Heuer, Hannah Arendt und die notwendige Politisierung von Minderheiten, Hannover 2006). Die UN aber hat in ihren bereits geltenden Rechtskatalogen die Rechte der Minderheiten als gleiche Rechte anerkannt.

Das sind Menschengruppierungen, deren Rechtsbewusstsein und deren Handlungsfähigkeit die Repräsentanten der Zivilgesellschaft oft negieren. Gerade diese Repräsentanten sind es, die Ihre Frustration in der Parlamentskampagne verursachen. Mit der Beschränkung auf die etablierten Repräsentanten, verfehlen wir den Grundgedanke der „grossen Menschheit” (Norbert Elias) und sind dann ganz überrascht, wenn die politischen Umschwünge aus nichtbeachteten Milieus erfolgen, durchgeführt von Menschen, die Hannah Arendt „selbstbewusste Paria” nannte.

Ich fände es sinnvoll, wenn Projekte wie „Kampagne für eine demokratische UN”, „Hannah Arendt Bibliothek Hannover” oder „boatpeople”(Göttingen), Save-me / Pro Asyl (Frankfurt), fortesseurope (Mailand) die Weltverfassungsfrage bzw. die Weltwahlrechtsfrage in den politischen Prozess um die "displaced persons" einbringen.


Beste Grüsse

Walter Koch


Hannah Arendt Bibliothek Hannover
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30167 Hannover
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Der Aufsatz von Wolfgang Heuer wurde veröffentlicht unter:
www.ha-bib.de/debatte/heuer.htm