12.01.2008

Liebe Freundinnen, liebe Freunde der Hannah-Arendt-Bibliothek,

es hat sich etwas hingezogen, jetzt aber finden Sie / findet Ihr, dank der schönen Fotos von Klaus Fleige, unsere Aktion "im Netz". Manche wissen vielleicht gar nicht mehr, um welche Aktion es geht? Ich meine unsere Kunst-Aktion am hannoverschen Friederiken-Platz vom 14. 10. 2006. Es ging um eine „Text-Allee“, eine Installation, welche für ein paar Stunden dem riesigen Friederiken- und Waterloo-Areal seine Überdimensioniertheit nahm. Unsere Fotos zeigen einen versteckten, idyllischen Weg am Leine-Ufer, dem wir Licht und öffentliche Beachtung brachten. Wir haben uns gefragt: wer in unseren Zeiten ist autorisiert, die „Mitte“ einer Stadt zu bestimmen, hier also eine Stadt, die jene Mitte mit dem Bombardement und dem Hillebrechtschen Umbau längst verloren hatte? Die Flussufer-Idylle, die in Hannover diesen Mittelpunkt bezeichnen könnte, ist wohl die falsche Verörtlichung für bewusste Politik. Auch Plätze mit Königsnamen ("Friederike") oder eine Gedenksäule für die Heiligen Allianz („Waterloo“) werden heute bestenfalls als Verkehrsknotenpunkt oder Aussichtsturm wahrgenommen. Die von den Bürgern selbst gewählten Texte der Arendt aber, s i e bezeichnen deren geschärfte Urteilsfähigkeit, eine Kapazität, die der berühmten „Willensbildung“ notwendig voran geht. Die hier dokumentierte Arendt-Allee im Leinebogen vereint beides: Denk- und utopischen Verfassungsraum für wirkliches Handeln (Vita activa, 5. Kap., Über die Revolution, 4. Kap.).

Geburtstagsaktion zum Hundertsten 14. 10. 2006

Damit hat - im Sinne von "work in progress" - unsere Dokumentation > zum 100. Geburtstag von Hannah Arendt einen gewissen Abschluss gefunden. Jetzt ist das "Durchclicken" durch unseren neuen Webauftritt nicht nur erfreulich, sondern auch die Genugtuung für viele Stunden anstrengender und kreativer Kooperation!
Ganz herzlichen Dank also an den Fotografen und an unseren Administrator Daniel Dornis.

Wir danken besonders den Lesern, die „Ihre“ Arendt-Gedanken dorthin brachten, wo sie diese, vergrößert, mit den Arendt-Gedanken anderer, zum „Uferalleebild“ formen konnten. Gleicher Dank gilt allen beteiligten Institutionen, denjenigen, die die Aktion auch finanziell mittrugen, und denen, die als Referenten oder Helfer dabei waren: wir meinen den Annabee-Buchladen, das Bürgerbüro Stadtentwicklung, die Stiftung "Leben und Umwelt", das Medienhaus Hannover, den Verein "Lebendiges Linden", Oskar Ansull, Heiko Postma, Michael Klingenberg , Peter Piontek, Stefan Hirsch, Michael Soboll, Noshin Sharokhi, Anke Bahr und Knud Berendsen in ihrer tatkräftigen Unterstützung und nimmermüden Beteiligung.

Zwei neue Projektgruppen

Das Jahr 2007 ist für die Hannah-Arendt-Bibliothek insgesamt höchst ereignisreich gewesen. Nicht nur, daß wir zusammen mit Hannah Kreisel- Liebermann und Wolfgang Heuer zwei weitere Projektgruppen mit überregionaler Ausstrahlung initiieren konnten ("Das Ende des kolonialen Blicks", zu Fotografie, Entkolonisierung und Totalitarismus am Beispiel der Germaine Tillion und "An den Grenzen. Die Rechte der Anderen", zur Abschottung an den EU-Aussengrenzen im "Einigungsprozess"), Projektgruppen, die, wie wir hoffen, in den kommenden Jahren veränderndes „Handeln“ ermöglichen.

Neue Bibliotheken und ihr möglicher Verbund

Ein gutes Stück ist auch der internationale Bibliotheksverbund vorangekommen (Konzept-Debatte, Teil-Abschluss der internen Katalogisierung durch die "Bibliotheksgruppe", intensive Begleitung bei der Entstehung einer Diplomarbeit zu „Themenbibliotheken“ in Leipzig, Neugründung einer Ezidischen Bibliothek (s. Anhang) im Umfeld von Hattab Abdu Slo und Marwan Othman, Erfassung und Präsentation weiterer Fremdsprachen- Bibliotheken in Hannover (Dank an Yue Ma, Xavid Ramshay, Zuev Savranskaya, Taric Hallac), in Essen (französische Bibliothek), Berlin (Bezirksbibliothek Neukölln, Regina Busse) und in der Schweiz (Hassan Fawas). Insbesondere der schweizerische Bibliotheksverbund hat eine gewisse Öffentlichkeit geschaffen, durch die unsere kultur- und wissenschaftspolitischen Positionen in Fach-Diskussionen (Entwicklung, Integration, Übersetzungen, Globalisierung, EU, UN etc.) Eingang finden können. Hier, in Bern, im Handgemenge gut organisierter Meinungen wurde mir zum erstenmal die Vielfalt der Handlungsansätze interkultureller Bibliotheken bewusst (www.interbiblio.ch; www.zentrum5.ch; http://www.ha-bib.de/bibliotheken/konzept.htm).

Jubiläumsaktion zum 20.-21. 11. 2007

Einige Worte zur Entstehung der Gruppe "Druckverschwörung", eine Gruppe, die sich plötzlich in doppelter Weise bewährt hat: Nach einer eher mühseliger Bewertung der bereits existierenden europäischen Print-Museen können wir nun auf eine Ausstellung verweisen, die, unter Federführung der Hamburger Staatsbibliothek, im November 2008 eröffnet wird: „Bleisatz und Unicode oder Zeichen der Welt“. Der Strukturwandel in dieser Branche hat über Jahrzehnte der Innovation dazu geführt, daß mehr und mehr die materiellen Zeugnisse der Gutenberg-Epoche verloren gehen.

Marlene Grau, Jörn Thiessen, Jürgen Bönig und Walter Koch haben eine jahrhundertelange Entwicklung in Glückstadt (Holstein) aufgegriffen, um sehr zielgerichtet auf die aktuelle und zukünftige Situation der Firma J. J. Augustin (Wissenschaftliche Publikationen zwischen Mathematik und Linguistik, Fremdsprachendruck und Literatur) aufmerksam zu machen. Uns bot sich ein kleines, aber magisches Symbol an, das die Depression auf der Seite von „Bleisatz“ in produktives Selbstbewusstsein wandeln würde: Wer kann sich schon gegen eine „Geburtstagsfeier“ wehren, die mit Geschenken der eigenen Kunst begangen wird ? Es ging darum, diejenigen, die aus der ehemaligen Belegschaft von über 150 hochqualifizierten Mitarbeitern auch heute noch in den Häusern und Werkhallen der „Blei-Epoche“ arbeiten, durch eine öffentliche Ehrung zu unterstützen.

Am 20. November 2007 war es soweit, unter Einbeziehung der Familie des jetztigen Firmeneigners, das 375-jährige Jubiläum von 20 Generationen deutsch-dänischer Drucker in verschiedenen Stationen zu feiern: auf dem Glückstädter Marktplatz, in den Gebäuden von J. J. Augustin und im Rathaus (Fotos s. Anhang) . Das Fernsehen (NDR-Kiel) drehte vor Ort und fragte an, wann denn unser 3 Phasen-Konzept realisiert werden würde (http://www.ha-bib.de/debatte/bleisatz.htm) , die „Norddeutsche Rundschau“ glänzte mit wunderbaren Interviews im Rahmen einer 4-seitigen Sonderbeilage zur Geschichte der Mitarbeiter, der Rat der Stadt empfing uns und selbst die dänische Botschaft signalisierte Kooperationsbereitschaft. So gelang das, was noch vor wenigen Monaten niemand für möglich hielt: eine langsam wachsende "Druckverschwörung" ins Leben zu rufen, eine vielversprechende Ouvertüre für das Wirken der kommenden Jahre vor Ort.

Nathan in Köln, Kairo und Hannover

Last but not least, das kleine „Nathan-Projekt“, auch das kam voran: unser Dank geht an Fausia Hassan, die uns auf verschlungenen, aber sicheren Wegen ein Besprechungsexemplar ihrer Übertragung aus Kairo zukommen ließ, an Elisabeth und Gerd R. Puin (Saarbrücken) für ihren Vergleich alter und neuer arabischer Text-Übertragungen (http://www.ha-bib.de/debatte/texte/Nathan_der_Weise.pdf) , und an Anne Brugnoni, die uns mit dem im Vertonen arabischer Texte vertrauten Komponisten Fortunat Fröhlich (Basel, Zürich) bekannt machte. Dank geht auch an den hannoverschen „Pavillon“ (Abdel Fettah Diouri) für eine Gastspiel des "c.t.201-Theaters" aus Köln, welches dem hannoverschen Publikum einen Nathan „mit Luftballons“ (s. Anhang) präsentierte !
> > Vielleicht bringt ja die elende Debatte aus Hessen genügend Einsicht zusammen, daß die Fortführung der hannoverschen, der kairiner und der kölner Inszenierungen (2000, 2004, 2007) babylonische Kunstformen entwickelt, die den Raum der Politik öffnen und den der Gewalt begrenzen! Aktionsforschung/Aufklärung, menschenrechtlich orientierte Verfassungspolitik und Bildung als ästhetische, soziale und kommunikative Integration bleiben, so hoffe ich, unsere Leitsterne, auch im gerade angebrochenen Neuen Jahr.

"Der liebe Gott muss immer ziehen, dem Teufel fällt's von selber zu!"

Wilhelm Busch in diesem Sinne für 2008 herbeizitierend

sendet Euch /Ihnen die besten Neujahrsgrüsse

Walter Koch