25.06.2007

Jahresbericht 2006/07

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

manchmal ist es vielleicht erhellend, auch die eigenen Lebenskleinigkeiten in einen „newsletter“ einzustreuen. Und so beginne ich diesmal mit den Bücher-Gaben, die mein  60. Geburtstag erbrachte..., wie die persönliche Feier halböffentlichen „Wörterwein“ kelterte:  Kostbarkeiten entstehen, wenn wir, wie Anke Bahr, das eigene bibliophile opus genau zu dem Zeitpunkt abrunden, an dem es als zart collagiertes Unikat dem Jubilar übergeben werden soll!

Wo aber nun hin mit dem wunderbaren Text ? Wissenschaftliche Hilfsmittel ? Projekt „Mehrsprachigkeit“? Ökologie und Konsum?  Oder ganz einfach (Welt-) Literatur? Coskun Ahmed hatte seine Gabe schon ein paar Tage vor dem 23. 09. 06 aus Rostock vorbeigebracht: ein DDR-entwerteter Prachtband über die Frauen im Islam ... Noshin brachte die zornigen (Sadeq Hedayat) und die klassischen Iraner (Omar Khayyam) vorbei, und dann war da noch ein Gemälde von Avan und eine beziehungsreiche Edition zu Al Quaida als Wirtschaftsbetrieb. So ging es von einem „Geburtstag“ zum nächsten. Walter Koch feierte, Hannah Arendt wurde gefeiert, posthum.

Und doch gab es auch den profanen Bibliotheks-Alltag: Michael, Stefan, Niels, Hattab und Daniel trieben im Vierwochenrhythmus die weitere Versiegelung unserer Buchbestände voran. Gerd Rüdiger Puin rezensierte zwei Nathan-Übersetzungen (Jerusalem 1932, Kairo 2004) und die Staatsbibliothek Hamburg erklärte sich nach langem Planungstalk bereit, den Verlag und die Druckerei J. J. Augustin im Jahr 2008 mit einer kleinen Ausstellung zu würdigen („Zeichen der Welt“).

Also, nun, die große Arendt: Es war Samstag-Nachmittag, am 14. 10. 06, als zu ihrem hundertsten Geburtstag Hannover Straßenkunst auf eine Weise erleben durfte, wie es ihr noch nie gewidmet wurde. Die Projektgruppe „Leinen zieh’n für Hannah Arendt“ (Sid Auffahrt, Oskar Ansull, Peter Piontek, Ekki Kähne, Hans-Jürgen Giesecke, Michael Klingenberg, Willi , Renate,  Knud, Daniel, Stefan und Maria) verwandelte in Anlehnung an die New Yorker Central Park Installation das Flussufer der Leine in eine Textallee der Bürgerinnen...: Am verwunschenen Herz, dem kaum bekannten Platz der zukünftigen niedersächsischen Staatskanzlei fügte sich „Vita activa – vita contemplativa“, „Eichmann in Jerusalem“, „On Revolution“, das „Denktagebuch“ und viele andere Texte zu einem bewegten Bild persönlicher Arendt-Rezeption zusammen(vgl. Dokumentation).

Der November und Dezember waren geprägt von unserer Vortragsreihe „Weltstaat“ mit einem Angebot, das um die Themen Fluchtgepäck und Sozio-Kultur des Buch, Reichweite der Identifikation, Ende des Islam, Gewaltmonopol und Politisierung von Minderheiten oszillierte (vgl. Debatte) .

Rhythmisch gut „getimed“, zogen wir den Frühlingsempfang in die zweite März-Woche (09.03.07): Ein schönes „Familienfest“, gespickt mit ein paar neuartigen statements und toasts: Senegalesische, griechische und irakische Mütter, altsozialistische Arendt-Kritiker, Goethe-Kenner und jezidische Menschrechtler meldeten sich zu Wort. Und in ihrer maßstabsetzenden Einführung (vgl. Debatte/ Veröffentlichungen) rief Noshin Shahrokhi an diesem Abend Babylon zum poetischen Prinzip einer vernetzten Bibliothek aus.

Am 14. 04. 07 schalteten Michael und Daniel unsere neue home-page frei .... zu einer Zeit, als die Debatten um die Zukunft der Türkei immer heftiger wurden.  Anders aber als der Unionsverlag und die helfende Robert Boschstiftung haben wir keine deutschsprachige  Publikationsreihe mit dem metaphorischen Titel „Türkische Bibliothek“ begonnen, sondern, scheinbar Unbedeutendes vor unserer Haustür wahrnehmend,  eine  tatsächliche türkische  Bibliothek   in  Hannover entdeckt (ca. 1000 Bde. in türkischer und kurdischer Sprache) .

Und so passen auch unsere Teilnahme am Gedenkgottesdienst für den ermordeten Hrant Dink in Berlin,  unser Vorhaben, einen Arbeitskreis zu den transnationalen Dialogen, die die inneren Verhältnisse dieses Landes beleuchten, zu etablieren, in unsere Zeit: sie alle weisen auf und leiten über zu kommenden Programm- und Selbstorganisationskonferenzen, zu politischen Initiativen parteiischen Charakters, die sich, so hoffen wir, ansiedeln jenseits jeder Partei.

 

Beste Grüße,

Walter Koch