März 2016

Liebe FreundInnen der Hannah-Arendt-Bibliothek,

natürlich gibt es auch in unserem Umfeld Flüchtlinge, die hier nicht nur ob ihrer Zahl das Stadtbild (mit-)prägen, sondern die gerade auch in die Sprachkurse, zu den Praktikantenstellen und auf die Arbeitsplätze drängen. Z. B. unsere Helferin Hala Alsamir, die sich jüngst mit unserem Zeitschriften-Bestand beschäftigte.

Hala absolvierte zu Beginn des Jahres in der Hannah-Arendt-Bibliothek ihr Praktikum im Rahmen eines beruflichen Orientierungskurses an der Oskar-Kämmer-Schule[1] und bewies dabei, das sie längst ein paar deutsche Sprachprüfungen abgelegt hat. Und doch erklang neben ihrem Deutsch eben auch ihre Muttersprache, das syrische Arabisch.... Wir haben ihr das einfach "durchgehen" lassen.... und erhielten so einen kleinen Eindruck, eine wachsende Sensiblisierung für die sich erneuernde mehrsprachige Realität Europas, eine Realität, symbolisch vermittelt, zwischen Halas mehrsprachiger Internetwelt und der analogen Phonetik der tatsächlichen Bibliothekskommunikation. Alle Medien wurden so zur tatsächlichen "Wilkommenskultur", fungierten als ihr Resonanzboden.

Bibliothekarisch zeichnet sich ein Umbruch ab: das, was die Retter des Abendlandes fürchten, blüht, wächst und gedeiht, z.B. als neuer "Verbrauchermarkt" im Grossraum Köln: ein arabisches Anzeigenblatt, virtuell und analog! Oder der lebensweltlich orientierte Typ eines neuartigen Konversationslexikons für Helfer und Flüchtlinge: das in verschiedenen Versionen an den Fluchtrouten ausgedruckte "Refugees-Phrase-Book" enthält folgende, ständig erweiterte Themen: basic conversation for refugees, basic conversation for helpers, medical phrasebook, juridical phrasebook.[2][3]

Auf diesen Seiten findet man Alltags-Tigrinia, -Farsi, -Arabisch, -Kurdisch, -Urdu, -Hassani, -Tamazight, -Tükisch, aber auch Englisch, Französisch oder Italienisch. Das ist um so erstaunlicher, als es die Bereitschaft der europäischen Helfer zeigt, die geordneten Wege der Spracheinwanderung zu ignorieren. Die Verfasser gehen nicht davon aus, dass Afghanen, Syrer oder Sudanesen bereits einen Deutschkurs beim Goethe-Institut belegt hatten... Vielmehr deutet sich auch in unserem Lande die Bereitschaft an, in direkter Kommunikation, mithilfe innovativer, nach dem WIKI-Prinzip geschaffener "phrasebooks" die Flüchtenden anzusprechen, ohne zu fragen, ob diese "weltsprachenmächtig" sind (ob sie Englisch, Französisch, Chinesisch oder Russisch beherrschen). Babylon in Vollendung: die Helfer äußern sich, wenn nötig, direkt in nicht "prestigehaltigen" Einwanderersprachen!

Wir halten das für einen wertvollen Mentalitätswandel gegenüber dem babylonischen Schicksal der grossen Menschheit und für eine überraschende Öffnung unserer homogenisierten Nationalkultur. Diese Offenheit findet ihre Parallelen in der Verinnerlichung der universellen Menschenrechte und der politischen Tendenz zur Weltgemeinschaft/zum Weltstaat.

Und so ergibt sich, wie von selbst, ein link zu meinen Freund Andreas Bummel (Mainz/Berlin). Sein Projekt[4][5], die weltweite Etablierung allgemeiner, freier, geheimer, gleicher und unverfälschter Wahlen zu einer neuen Institution, dem "UN-Parlament", würde wesentliche Gründe für Flucht und Vertreibung beseitigen (u.A. die Illegitimität der Regime, die Fluchtursachen schaffen). Das Gelingen seines Projektes wird die Wanderung in wohlhabende und geordnete Staaten durch die produktive Hoffnung ihrer Vermehrung abschwächen und so die Energie der Menschen umkehren. Der Spracherwerb aus der Not des Integrationszwang in Einwanderungsländer könnte zurückgehen. Unterricht und Lehrmittel von Sprachen sollen schon jetzt als Klang-Begegnung und als Ausdruck unserer freien Mitmenschlichkeit aufgefasst werden.

Aber eben: die Sprachen brachten (neben den Bildern) die Nachrichten vom menschenwürdigen Leben, sie sind – zum Glück – "Pull-Faktoren" der Migration. Eine internationale Bibliothek, fahrbar, stationär, als Pyramide oder als Smartphone (!), ist immer ein Ort von Kenntnissen, die wir durchdenken und äussern. Die vereinten Nationen bieten sich dafür ca. 5000 Sprachen. Sie müssen nur, wie eine "zweite Hebamme", die Zungen lösen und die Phoneme der Welt könnten uns alle vor "Gott und den Menschen angenehm machen" (G. E. Lessing, 1773).


Beste Grüsse,

Walter Koch


[1] https://www.oks.de/schule
[2] http://www.refugeephrasebook.de
[3] https://en.wikibooks.org/wiki/Refugee_Phrasebook
[4] http://en.unpacampaign.org
[5] https://www.facebook.com/unpacampaign