Februar 2010

Liebe Freundinnen, liebe Freunde der Hannah Arendt Bibliothek,

natürlich muss dieser Brief etwas länger werden :... warum, im Folgenden :

Zu Beginn füge ich die Hamburger Rede von Ilja Trojanov zu "Lessing als Kosmopolit" an. Trojanov verweisst auf eine orientalische Erzähltradtion, aus der Gotthold Ephraim die Weltlichkeit der Ringparabel destillierte. Aber lesen Sie selber !

Vergleichbare Kultur-Konzepte, allerdings im Zusammenhang mit kritischen Diskussionen um die hannoverschen "Arendt-Tage" sandte uns Wolgang Heuer (Berlin) zu. Hier geht es darum, tragbare Zusammenhänge von Kultur und republikanischer Politik so zu formulieren, daß eine Internationale Bibliothek zum Real-Ort empathischer Parallel-Diplomatie werden kann.

Gerd Rüdiger Puin (Saarbrücken) hat uns eine Kritik der Kairoer Obama-Rede zugesandt und als eminenter Koran Kenner Passagen /Suren benannt, die bei richtiger Interpretation mehr Sinn im Bemühen um einen "konvivialen Islam" bedeuten können, als die bisherige Gedankenführung des Präsidenten.

Zur Ausheilung meiner "Winter-Beinfraktur", die mich ein wenig "langsamer treten" liess, haben mir freundliche Krankenhausbesucher Miriam Presslers "Nathan's Kinder" zugesteckt:

Gute Verwandlung des Theater-Genres in die Anschaulichkeit eines Romans. Allerdings: der pseudo-moderne Schluss, so als sei der heutige antisemitische Terrorismus bereits zu Zeiten der Kreuzzüge vorgeprägt und müsse durch einen Fatalismus der "Guten" beantwortet werden, kann nicht überzeugen. Mit dem von Pressler hinzugefügten Mord an Nathan bekommen die "Kinder Nathans" ein neues "Oberhaupt": Recha.

Wer aber, wie die presslerische Recha, nicht wissen will, wer Nathan umbringt, übersieht auch, daß bereits bei Lessing Recha von Christen gerettet wird (zunächst vom Klosterbruder, dann vom Tempelherrn), die Familie ihres Ziehvater Nathan aber durch die Hand a n d e r e r Christen sterben musste. Recha erbt zum Schluss den Besitz und das "spirituelle" Erbe des Weisen, ohne dass klar wird, wie sie dessen "Ringe", also die differenten Religionen zu friedensstiftendem Konsens im heutigen Jerusalem verwenden wird. Der Roman endet mit der ungeschützten Übernahme der "Geschäfte" durch eine "interkulturelle Frau", die einfach alles erträgt. Die Erinnerung an die Güte Nathans kann nicht die einzige Kraft sein, die quasi jesuanisch-feministisch den Frieden durch Beispiele bringt. Die Raffinesse des Lessingschen "dramatischen Gedichts" besteht ja gerade darin, Diffenrenz aushaltbar zu machen und damit den Institutionen der Laizität eine realpolitische Chance zu eröffnen. Das meint das Bild des letzten Aufzugs: "der Vorhang fällt unter allseitigen Umarmungen". Die sich umarmenden Akteure bleiben in ihrer Verbindung different.

Nachdem nun auch eine franzoesische Version von Cueppers, Mallmann, Halbmond und Hakenkreuz, Ludwigsburg 2006, erschienen ist (Le Monde 18. 12. 09) muesste in der Oeffentlichkeit eigentlich ein Wettbewerb ausgelobt werden, ein Wettbewerb, der Forschungen zu a n d e r e n , nicht-exterministischen Kollaborationen von Arabern mit a n d e r e n , nicht faschistischen Deutschen promoviert ...

Ein solcher Wettbewerb wuerde dann nicht nur die in der folgenden NZZ Rezension (s. u.) angedeutete arabisch/berberische Unterstuetzung der Juden von Tunis bewerten oder das Doppelspiel der sog. "gemässigten arabischen Regime" blosslegen. Die Forschungen von Cüppers und Mallmann empfinden wir als Aufforderung, das direkte gesellschaftliche Umfeld des in Jerusalem um 1932 ins Arabisch uebertragenen Lessingschen Hauptwerkes (Nathan) aufzuklären. Noch immer wird diese bedeutende Arbeit von Nasr Al Haddad allseitig ignoriert. Man weiss nichteinmal, ob das arabische Theater (oder der arabische Film) diesen Text dem Publikum je präsentiert hat. Was wir wissen, dass es die Weltausstellungsstadt Hannover war, die sich im Ballhof-Theater einen "Nathan" leistete, synchron in deutsch, arabisch und in hebräisch, gespielt von palestinensischen, jüdischen und deutschen Schülern.

Sind wir hier weiter als in Fes, Jerusalem oder in Bagdad ? Ich bin gespannt, was uns das Neue Jahr bringt !

Beste Gruesse,

Hannah Arendt Biblitohek Hannover


Projektleitung

Schaufelderstr. 30
30167 Hannover



Rezensionsnotiz von Cueppers/ Mallmann, Halbmond und Hakenkreuz, Ludwigsburg 2006 (Neue Zürcher Zeitung, 21.02.2007)

"Mit dieser Studie müsse die bisher dominante These von Francis Nicosia relativiert werden, der nationalsozialistische Staat habe keine Interessen im Nahen Osten verfolgt. Rezensent David Motadel zufolge können die Autoren plausibel nachweisen, dass sich die deutsche Orientpolitik Ende der dreißiger Jahre änderte. Kulminiert sei eine zunehmende "Verbrüderung" mit arabischen Nationalisten mit der Flucht des Muftis von Jerusalem Amin al-Husseini nach Berlin, wo dieser zusammen mit Adolf Eichmann die Ermordung der Juden im arabischen Raum geplant habe. So sei Rommels Armee von Anfang an ein Einsatzkommando nach dem Vorbild der Ostfront mitgegeben worden, das dann die tunesischen Juden ausplündern konnte, aber weiter nicht gekommen sei. So konkret sei das bisher nicht bekannt gewesen. Allerdings, schränkt der Rezensent ein, würden die Autoren sowohl die Deutschfreundlichkeit als auch den Antisemitismus der Araber "vermutlich" überschätzen, zumindest in Nordafrika hätten viele Araber auf der Seite der Alliierten gekämpft. Ein Problem der Studie sei auch, dass keine arabischen Primärquellen benutzt worden seien, nur deutsche Berichte. Zudem führe der narrative Ansatz zu einer mangelhaften Stringenz der Analyse, mit dem Vorteil wiederum eines "spannend und anschaulich" geschriebenen Buches".