Februar 2009

Jahresbeginn in einer gar nicht so alten Bibliothek

Arbeitskreis „Gesellschaftskritik und politische Aktion“

Als Neuling im Umfeld der Hannah-Arendt-Bibliothek, der aber zum Zeitpunkt seines Auftauchens noch nicht einmal weiß, dass diese Bibliothek ein Umfeld hat, ist die schönste Gelegenheit, eben dieses kennen zu lernen, ein Spätnachmittag bei Tee und Kuchen und Sekt und Häppchen und - natürlich - mit den Menschen, die hier als Umfeld benannt sind. Ein solcher Nachmittag war die diesjährige Neujahrsfeier der Ha-Bib am 10. Januar 2009.

Die graue Eisentür, hinter der die Bibliothek sonst verborgen ist, war an diesem Tag geöffnet für alle Freunde, die der Ha-Bib nahe stehen, in ihr aktiv sind und bei ihrem Entstehen und Bestehen beteiligt waren und noch immer beteiligt sind oder die sich ihr einfach verbunden fühlen. Mir, dem Neuling, ist diese Verbundenheit so vieler verschiedener Menschen jedoch erst im Verlauf des Nachmittags klar geworden. Der erste Eindruck beim Betreten des großen Raumes, in dem neben einer hölzernen Pyramide sogar ein Baum steht, war dann auch die Vielzahl der Menschen, die sich in ihm versammelt hatten.

Als diese Menschen nach und nach anfingen, sich und ihr Verhältnis zur Bibliothek vorzustellen, ließ sich langsam erahnen, dass dies keine gewöhnliche Bibliothek ist, in der sich Interessierte Bücher ausleihen können. Das ist zwar auch möglich, aber es scheint mir das Besondere an der Ha-Bib zu sein, dass hier eher Bücher zusammengetragen werden und Wissen bewahrt wird, das vielleicht woanders keinen Platz hat.

Menschen verschiedener Herkunft tragen hier Teilbibliotheken zusammen, begegnen einander bei der Arbeit und treten in einen Dialog. Dies ist zwar eine Bibliothek, aber eben auch ein Treffpunkt, an dem bestimmt auch, aber nicht nur gelesen wird, sondern vor allem miteinander gesprochen wird.

Alles begann mit ein paar einführenden Worten von Wolfgang Heuer vom Hannah Arendt Netz der Experten. Kenner des Lebens und der Werke dieser Kritikerin des Totalitarismus und Befürworterin der Partizipation arbeiten nach seinen Worten an der Publikation ihres Lebenswerkes, und das zwischen Brasilia und Tokio, Casablanca, Oldenburg und New York ….

Walter Koch referiert zur Bedeutung von Politischer Wissenschaft und Alltagswissen für das praktische Handeln der Menschen. Er skizziert auch den langen Weg, wie aus dem runden Tisch des Wissenschaftsladens der Nordstadt ein lockerer Verbund internationaler und interkultureller Bibliotheken wurde.

Nach der ersten Pause stellte sich neben anderen eine Gruppen afrikanischer Mütter vor, die sich regelmäßig hier treffen, um sich über ihr Leben in Deutschland auszutauschen, ebenso wie eine Gruppe Studierender vom Arbeitskreis „Gesellschaftskritik und politische Aktion“, zu der ich selber gehöre. Hattab Abdu Slo berichtete über interessante Differenzierungs-prozesse zwischen kurdischer und ezidischer Bibliothek. Jens Gnutzmann sprach über das Examenskolloquium, eine ebenso regelmäßige Veranstaltung in der Bibliothek. Poetisch wurde es sowohl in persischer als auch in deutscher Sprache, als Noshin Sharokhi aus ihrem Roman „Die unerfüllten Wünsche einer Iranerin“ vorlas. Eine Premiere erlebten wir, als die 19-jährige Inana Othman ein Gedicht in Arabisch vortrug und ihr Vater Marwan in kurdisch einen Essay über die Lage im Nahen Osten vortrug.

Nach diesem kurzen Überblick über die Projekte, die in der Hannah-Arendt-Bibliothek stattfinden, bot sich die Gelegenheit in persönlichen Gesprächen noch einmal mehr zu erfahren. Besonders interessant war hierbei für mich die Geschichte der Ha-Bib.

Die Mühen, die der Aufbau der Bibliothek einst bereitet haben müssen, kann man sich vermutlich kaum vorstellen, wenn man nicht selbst dabei war. Die Fotos, die den Entstehensprozess in den 80iger Jahren dokumentieren und von denen einige am 10. Januar gezeigt worden sind, vermitteln aber doch einen Eindruck davon, wie die ersten Tage der Hannah-Arendt-Bibliothek ausgesehen haben. Die handwerkliche Arbeit, die neben dem Streichen des gesamten Raumes auch das Abbeizen der Stahlträger an der Decke, das Schleifen der Dielen und sicher noch vieles mehr umfasste, wurden noch von den Begründern der Ha-Bib selbst erledigt. Mir erscheint es fast unvorstellbar, wie aus der Baustelle, die dort auf den Fotos zu sehen war, dieser wunderschöne Ort werden konnte, der die Ha-Bib heute ist.

Später dann, als der Bestand an Büchern stetig wuchs, hat sich eine Gruppe Studierender zusammen getan, um die Bücher nach einem möglichst sinnvollen System zu ordnen. Hierbei musste beachtet werden, dass in die Teilbibliotheken immer wieder neue Bücher aufgenommen werden können, das System also in der Lage sein musste, neue Zahlen und Buchstabenkombinationen in sich aufzunehmen, ohne die Signaturen doppelt zu vergeben und ohne dass immer wieder Teile des Bestandes neu signiert werden mussten. Ich kann die Probleme, die sich beim Signieren der Bücher ergeben haben, gewiss nicht benennen. Ich als Neuling war nicht dabei, aber diejenigen, die dabei waren, haben über zwei Jahre für die Ausarbeitung und Ausführung dieses Systems gebraucht, nach dem nun die Bücher in der Ha-Bib auch ihren festen Platz haben und geordnet sind. Also, nicht nur viel kulturelles, literarisches und politisches Leben steckt in ihr, sondern auch der Anlauf zu einem internationalen Bibliothekssystem.

Es wurde noch lange gefeiert, und zum Abschluss trat aus der Pariser Exil Bibliothek Heinrich Heine hervor. Ein ellenlanger Spottvers über die selbst gewählte Eselei der deutschen Nationalisten, ihr anti-semitisches Denken, wenn sie die gestreiften Gene zebräisch - häbräischer Afrikaner entdecken, diese ach so schrecklichen Gegenstücke treudeutscher Langohresel ...

Hannover, im Februar 2009


p.s.: Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass im Rahmen unserer Schriften-Reihe die Nummer 2/2008 erschienen ist: „Herkunft und Zukunft der Hannah-Arendt-Bibliothek-Hannover“. Diese Aufsatzsammlung enthält Beiträge von Oskar Ansull, Jürgen Castendyk, Hassan Fawas, Wolfgang Heuer, Walter Koch, Said Ihaddaden, Marwan Othman, Frank Puin, Peter B. Schumann, Noshin Sharokhi und Michael Soboll.

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